Langeweile

Langeweile ist für manche wie Winter in Deutschland, Nieselregen, klamme Kälte, graue Ausblicke hinaus in die Welt. Ein graugrüner Rasen vor dem Fenster, wenig Licht, fehlende Anreize -denkt man.

Wiese kahl und grau

STEVEN Spielberg zitierte einen seiner Lehrer: ” Wenn der Horizont in der Mitte des Bildes liegt ist es einfach nur langweilig”.

Und plötzlich, bei genauerem Hinsehen kommen andere Bilder dazu

Ein Gänseblümchen

Oft erschien mir mein Leben hier und in der Ferne eine Aneinanderreihung von Langeweile, unendlich, andauernd und unausweichlich.  Ob das stimmt?

Vorab ein paar Situationen, in denen bei mir Langeweile aufkommen könnte:

  • Vorträge ohne Esprit
  • „Der Bleiche König“ von D.F. Wallace über Steueranträge oder ähnliche Bücher
  • Diät-Erkenntnisse anhören
  • Zuhören von Jammern über völlig unbedeutende Kleinigkeiten – das hat Javier Marias trefflich in seinem letzten Buch ausgedrückt
  • Am Flughafen irgendwo auf jemanden warten
  • Fußballspiele mit unaufmerksamem und schlechtem Spiel
  • Keine Ideen im Kopf
  • Schlangestehen

Langeweile ist sehr individuell, manche halten es ohne Arbeit, ohne Selbstdarstellung, Augenblicke der Stille, der Ruhe, Zeiten mit geringem Aufregungswert für schwer erträglich.

Im Netz habe ich dazu widersprüchliche Ideen zu Langeweile gefunden, nämlich:

Die Langeweile zeigt einen Mangel an Wahrnehmung

Hinter Alltagseile lauert die Langeweile

Langeweile ärgert sich satt

Gibt es in der Ewigkeit Langeweile?

Die gefährlichste Droge ist die Langeweile

Langeweile ist das Unglück der Glücklichen

Langeweile ist der Zeitvertreib der Dummen

Wer schafft/ arbeitet, der hat keine Langeweile

Die Langeweile ist die Gouvernante der Bosheit

Wer bis hierhin gelesen hat, darf hoffen. Denn ich würde gerne erzählen, wie mir Langeweile zu neuen Erlebnissen, Sichtweisen und kleinen Aufregungen zur Veränderung von Einsichten und Verhaltensweisen geführt hat.

Hoffen

In Mosambik habe ich mich oft gelangweilt. Nicht immer konnte ich arbeiten, studieren, telefonieren. Freizeit draußen war mit zu großen Risiken wegen Überfallgefahr, Krieg, Unruhen und Angst vor drohender Entführung verbunden. Also blieb mir häufig nur in meinem Apartment zu bleiben, allein.

Wochenende war eine dehnbare Langeweile Zeit.

Von meiner Wohnung mit Balkon im neunten Stock hatte ich einen freien Blick auf den Indischen Ozean. Riesige Wasserflächen, oft grau, manchmal blau.

Meer und Wellen

Meeresaussicht – manche würden denken- wie wundervoll. Tatsächlich braucht man aber Geduld und Bereitschaft, auf die wenigen, winzigen und unbedeutenden Ereignisse dort draußen in, an und über den grauen Wassermassen zu achten. Da gibt es ein Riesenschiff am Horizont, verhallendes Tuten. Vögel, die sich kreischend ins Wasser stürzen, sonntags kleine Boote der Segelschule in der Nähe als weiße zierliche Dreiecke über den Wellen schwebend. Manchmal einen Vollmond, so hell, dass man nicht schlafen kann, der majestätisch über dem Wasser steht. Gewitter mit Donner und Blitzen tobend über dem aufgewühlten tosenden Meer erzeugen Gänsehaut.

Schlangestehen

In Kuba stand ich vor vielen Jahren stundenlang in einer Schlange, mein Kleinkind an der Hand, um ein Bus-Ticket nach Santiago im Süden der Insel zu erhalten. Hunderte von gut gestimmten, bunt gekleideten Menschen formten eine beispielhaft geordnete Warteschlange. Unendliche lange Schlange!

Man plauderte mit den Vorderen, den hinten Stehenden. Ein gedämpftes, aber fröhliches Wortspiel flatterte hin und her, mal anschwellend, mal abschwellend. Winzige Bewegungen nach vorne und ein lautes „Ohh“ ertönte gelegentlich mit sehr kleinen Bewegungsveränderungen nach vorne.

Ich war dennoch genervt, wirklich genervt und gelangweilt, fand dieses Warten eine unnötige Strapaze. Folgerichtig fing mein Kind an zu nörgeln.

Ein sichtbarer Ruck ging durch die Umstehenden. Lebhafte Ausrufe wie „que quapa, que bonita“, „Quieres un helado“, „quieres una bebita, una fruta?“[1] begleitet mit sanftem Gurren, Lächeln, streichelnden Händen über den blond gelockten Kopf der Kleinen. Sofort stellte sie ihr Gejammer ein und lächelte leicht verschreckt zurück.

Erst jetzt bemerkte ich die vielfältigen Möglichkeiten, das Warten in der Schlange als einen Genuss, der lustig, unterhaltsam, spaßig und erfreulich sein kann, zu sehen.

Seitdem finde ich plaudern, diskutieren, gemeinsam lachen in der Schlange sehr aufregend und fange so oft es geht sofort mit Gesprächen mit vor und hinter mir stehenden Menschen an. Überraschendes, Neues kommt häufig zum Vorschein. Es ist ein Geschenk mit vielen unbekannten Einblicken in andere Welten.

Neue Sichtweisen und Amüsement

In Kuba habe ich gelernt, dass man hoffen darf, Neues in den Momenten des scheinbaren „Ausgeliefertseins“ zu entdecken. Oft hat es mich unterhalten. Manchmal – leider- hat es auch nicht gegen die Ungeduld geholfen.

Viel Vergnügen beim Weitersuchen und Entdecken, was und wie Langeweile für Sie ist, hilft sicher gegen Langeweile und  vielleicht auch fürs Schmunzeln.


[1] Que quapa, que bonita wie hübsch wie goldig!

Quieres un helado, una bebita una fruta: Möchtest du ein Eis, etwas zu trinken, eine Frucht?